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## Tour
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tour.name = Designhaus
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HTMLText_E71F52FB_F3B4_00A7_41E4_03FBDC1A2A80.html = »Skurrile Fluchten – Humor in der Fotografie«
23. Oktober bis 1. November 2020
11. Darmstädter
Tage der Fotografie
Wolfgang Vollmer
Meisterwerke der Fotografischen Kunst - Die Sammlung Vollmer
Will man also wissen, wie ein Kugelschreiber die Mine heraus und hinein bringt, schraubt man ihn auseinander und findet u.a. gezackte Teile, die diese Funktion erfüllen.
Will man eine Fotografie verstehen, baut man sie auseinander und findet Teile, die die Funktionen des Bildes erfüllen.
Man versucht beispielsweise ein Fotogramm eines Königfarnblattes zu verstehen – man findet einen Königsfarn und passendes Fotopapier und baut es wie in der Vorlage auf. Und dann erkennt man, dass einige Elemente Wirkung haben, andere nicht. Am Ende weiß man, wie jedes einzelne Detail dieser Fotografie wirkt, weil man jedes Detail in der Hand hatte. Man hat die Szene durchlebt (Reenactment), hat sie sich angeeignet (Appropriation), hat sie nachgeahmt (Mimikry).
Ist dann dieser beschriebene Wiederholungsakt ein Konzept für Kunst, ist dann die bewusste Missachtung eines Details eine Intervention, ist dann das Fast-Zitat die eigentliche Qualität, ist dann diese Revision die Beantwortung der Frage nach Original und Fälschung und ist dann eine Wertschätzung dieser Arbeit als Parodie oder Hommage gerechtfertigt?
Will man herausfinden, wie etwas funktioniert, gibt es ein probates Mittel – man setzt es neu zusammen.
Anna Atkins (presumable), Osmundacea, nach 1854
Alternative Moons, PC-008-170215, 2017
N.A. Vague
#real #me #ad
Die technischen Neuerungen der letzten zwei Jahrzehnte und der seit Jahren anhaltende Boom von Social Media-Plattformen haben unsere Sehgewohnheiten grundlegend verändert. Fotos können jederzeit und überall geknipst, bearbeitet, verschickt, gepostet, konsumiert und kommentiert werden. Auch die Werbeindustrie vollzog infolgedessen einen starken Wandel, der insbesondere zum Aufstieg von Influencer-Marketing führte. Während viele Privatpersonen mittels bewusster Inszenierung und Bildretusche versuchen, ihrem Alltag die Ästhetik von Werbebildern zu verleihen, bemüht sich Werbung immer häufiger um eine alltägliche Anmutung, um Authentizität und Glaubwürdigkeit zu suggerieren.
Von einem Marketingstudium und wechselnden Jobs innerhalb der Medienbranche beeinflusst macht N. A. Vague in ihren Arbeiten die Beziehung zwischen Medien und Populärkultur sowie das Aufeinandertreffen von innerer und äußerer Wirklichkeit zum Thema.
In ihrer Serie „#real #me #ad” untersucht sie die zunehmend verwischende Grenze zwischen Amateur- und Werbefotografie und die Art, wie wir Bilder heutzutage betrachten. Unter Einsatz von geläufigen Motiven der Gegenwartskultur wie „Fashion“, „Food“ und Teilen ihres eigenen Körpers inszeniert N. A. Vague spielerische Performances in häuslicher Umgebung. Die daraus entstehenden dadaistischen Szenen ergeben sich aus Kalkulation und purem Zufall. Die Fotografien sind nicht digital manipuliert. Gezielt kopiert N. A. Vague Stilelemente von Amateur-Schnappschüssen und Hochglanz-Werbung gleichermaßen.
Wo endet die Plausibilität visuellen Storytellings?
Johanna Schlegel
Condensed memories
entlichten
Johanna Schlegel arbeitet mit Fotografie, wörtlich: Sie verwendet vorhandene Bilder als Ausgangsmaterial. Alte Fotografien werden mit einer farblosen Flüssigkeit übergossen und verändern sich vor unseren Augen. Das Bild verschwindet, es bleiben ein weißes Papier sowie die aufgelösten Pigmente und Silbersalze. Die Reste des chemischen Prozesses werden von Johanna Schlegel in Petrischalen aufgefangen und mit Titeln versehen, etwa 3 Karnevalsfeiern (9 Farbfotografien) – Beschreibungen dessen, was zuvor sichtbar war. Die alten Fotografien bilden eine Aura des Vergangenen und Vergänglichen, wie es schon Ivan Goll und Walter Benjamin beobachtet haben. Hier kommt ein erstaunliches Moment hinzu: Je länger die Bilder angeschaut werden, desto mehr kommt die Vorstellung in den Sinn, dass sie gar nicht wirklich alt sind, sondern als solche gemacht. Jeder Schritt der Reproduktion nimmt der eigentlichen Aufnahme etwas von ihrem Repräsentations-Charakter für eine ehemalige Wirklichkeit; wir müssen beim Sehen so viel konstruieren, dass die Wahrheit des Bildes nicht mehr befragt werden muss und wird.
„Entlichten“ nennt die Künstlerin ihr Verfahren. Ihr gelingt ein Blick zurück auf die physikalisch-chemische, als analog bezeichnete Fotografie, der erst seit der Digitalisierung möglich ist: Durch unendliche Reproduktionen ist der Status eines originalen Bildes kaum noch definierbar, und letztlich galt dies schon zu Zeiten, als das individuelle Ferien-, Hochzeits-, Familien- oder Kinderbild auch nur den kleinsten Teil einer großen Produktionskette bildete.
Das Verfahren von Johanna Schlegel ist keine Zerstörung, sondern kürzt den Prozess des Vergessens ab, dem alle Bilder eines Tages anheimfallen: Niemand wird dann mehr wissen, wer auf einem Bild zu sehen ist, und selbst wenn man den Namen kennt, wird daraus noch keine Person. Johanna Schlegel erinnert uns an die Vorläufigkeit unserer Existenz, auch in den Bildern, die wir für die Ewigkeit machen wollen.
Text: Rolf Sachsse
Videostill aus der Arbeit entlichten, 2018, Video, 26‘
Objekte aus der Arbeit condensed memories, 2019, Petrischale mit
abgetragener Emulsionsschicht von Schwarzweißfotografien und
Farbfotografien
Mirko Müller
Flourecent Adolecent
Wenn wir über Identität reden, sprechen auch wir auch zwangsläufig über den Begriff der Heimat. Versuchen wir hier eine einheitliche Definition dieses Begriffs zu liefern, stoßen wir schnell an unsere Grenzen. Ist Heimat durch räumliche Kategorien definiert oder prägen Beziehungen zwischen Menschen das Wesen des Begriffs? Fest steht, wir identifizieren uns und andere über jenen Begriff der Heimat. Wir sind stolz, wir sind beschämt, wir sind geprägt. Der Zugang und Umgang zu unserer Heimat ist so vielfältig, wie die Menschen und Räume, die sie ausmachen.
Zu Beginn des Jahres 2014 erschien ein Zeitungsartikel, der sich meiner Heimat, dem Odenwald, polemisch widmete. Die Verfasserin, Antonia Baum, beschrieb in ihrem Artikel ,,Dieses Stück Germany“ die Eindrücke und Erfahrungen ihrer Jugend. Zumeist auf sehr polemische Weise zeichnete sie ein Bild des Odenwaldes, das düster ausfällt. Zwischen all den Bäumen und Nachkriegsbauten, so die Autorin, bliebe die Jugend mit all ihrer Langweile alleine. Was bleibt also dieser verlorenen Jugend in der grün-grauen „Hölle“? Richtig! Drogen, Gewalt, Sex.
Die Reaktionen auf jenes Odenwald-Pamphlet ließen natürlich nicht lange auf sich warten. Politik, Lokalpresse und Bürger wollten dieses Attest über die eigene Schrecklichkeit nicht akzeptieren. Lokalpatriotismus keimte und ließ Gegendarstellungen und Gegenbewegungen aufblühen. Doch Baum schaffte es mit Hilfe ihres Artikels nicht nur gegenläufige Reaktionen hervorzurufen, sondern auch, dass sich Menschen mit ihrer Heimat und letztlich auch mit dem Heimatbegriff auseinandersetzten.
Ist der Odenwald jene Hölle oder ist er ein Paradies? Ist der Odenwald eine sanfte Landschaft, bestehend aus Bergen und Tälern, oder setzt er sich vielmehr aus meiner Familie und Freunden, aus meinen Erinnerungen und Erfahrungen, zusammen? Und sind diese Erinnerungen und Erfahrungen von schöner oder schlimmer Natur? War es wirklich so langweilig und trist oder war es aufregend und facettenreich? Zumindest langweilig war es oft tatsächlich, und vielleicht hat uns jene auch in manche tadelnswerte Situation gebracht.
Fluorescent Adolescent No.1, 2016
Thomas Ur, o.T. (Thomas Bernhard, Alte Meister), 2014
Ansel Adams, Moonrise over Hernandez, 1944
Paul Outerbridge
(mit großer Wahrscheinlichkeit),
Woman with Household-
Gloves and Catch the-hat-cups, 1937
L.M./L.M., Kuss, vor 1940
L.M./L.M., Kuss, vor 1940
Paul
Johann Peter Eckermann, Aufbau auf einem Tisch im Garten, 1824
Fotografen des Commitee of Unknown Planes (CUP), Flugobjekte, 1970er Jahre
Icognito, Untitled Film Still (Cindy Sherman), 1986
N.N. (namentlich nicht bekannter Student des Goldsmith College, London),
Jelly Dots, um 1990
N.N., Unfinished Painting (Reproduktion), um 2000
Unbekannter Fotograf, Original Reproduktion einer Fotoarbeit von: Loiuse
Lawler, Sammlung Elaine Stuyvesant, 1985; mit „After Walk Evans“ von Sherry
Levine, 1981; hier: Walker Evans, Penny Picture Display, 1936, 2014
Isidor Stichlitz, Flatiron Building, 1910
Anonymus, o.T. (Drei Personen auf einem Feldweg), o.D. (um 1917)
Lagbaja - No one in particular I, 2019
Frank Kunert
Lifestyle
In meinen Bildern möchte ich die grotesken Auswüchse unseres zivilisierten Daseins zeigen und auch mal auf die Spitze treiben. Hierfür nutze ich eigens für die Fotografien gebaute Miniaturkulissen. Die Architektur, die uns umgibt, dient mir hierbei als Metapher für die Darstellung unserer Träume und Ängste, unseres Umgangs miteinander, manch skurriler Lösungen von Problemen, der Vergänglichkeit und des Scheiterns – sowie der ständigen Gratwanderung zwischen Tragik und Komik. Das Finden und Skizzieren der Ideen als auch das Bauen der Kulissen ergeben dabei immer wieder einen spannenden und oft auch spielerischen Prozess. Hierbei taste ich mich ganz langsam und in mühevoller Kleinarbeit an eine Szene heran. Beim Entstehen eines Modells werfe ich schon früh einen Blick durch den Sucher meiner Kamera, um die Wirkung im Licht der Fotolampen zu überprüfen. Im fortgeschrittenen Stadium bekomme ich dabei irgendwann auch mal das Gefühl, direkt vor oder mitten in einem richtigen Gebäude zu stehen.
In der fertigen Fotografie darf das Ganze dann so aussehen, als ob die Menschen die Szene gerade verlassen haben oder vielleicht auch in jedem Moment wieder in Erscheinung treten könnten. Ich versuche, eine Bühne für Fantasien zu schaffen. Das Theaterstück darf sich jeder selbst ausdenken.
Lagbaja - No one in particular I, 2019
Lagbaja - No one in particular II , 2019
Lagbaja - No One in particular III, 2019
Lagbaja - No one in particular I, 2019
Joseph Obanubi
TECHNO-HEADS
TECHNO-HEADS untersucht die Globalisierung und ihre Auswirkungen, Technologien sowie deren Einfluss auf menschliche Interaktionen und Bewegung. Das Projekt konzentriert sich darauf, wie Individuen innerhalb der zeitgenössischen afrikanischen Gesellschaft, sich – gelenkt durch Technologie – ihren Weg durch alltägliche Abläufe des Lebens bahnen. Es zeigt auf, wie stark unser heutiges Leben um Technik kreist und bei zentralen Aspekten der menschlichen Existenz wie Kommunikation, Bewegung und Navigation von ihr abhängig geworden ist. TECHNO_HEADS stellt dieses Phänomen als Teil der menschlichen Existenz dar, wobei natürlich vorkommende Formen der Subjekte durch mechanisierte Teile ersetzt wurden und somit die Idee einer Techno-Utopie hervorgerufen wird.
Obanubi beschäftigt sich zudem mit dem Konzept der Metaphysik im afrikanischen Kontext und untersucht, wie Identität, Raum und Zeit selbst mit den einfachsten Produkten der Technologie auf komplizierte Weise verbunden sind. Der Künstler versucht, afrikanische Metaphysik und einfache Technologien zu einem neuen Ganzen zu verschmelzen, um der veränderten Realität ein neues Gesicht zu geben und durch sie zu erklären, wie Technik und afrikanische Freiheitskonzepte in der heutigen Gesellschaft dargestellt werden.
Geschlossene Gesellschaft, 2011
Thorsten Brinkmann
Not just one title
Seit mehr als 20 Jahren sammelt Thorsten Brinkmann Fundstücke. Er findet sie auf den Straßen, in Containern oder auch auf Flohmärkten. Mit diesen Ablagerungen der modernen Kultur bewegt er sich zwischen den Genres Fotografie, Skulptur, Installation und Performance.
Die fotografische Selbstinszenierung, in denen er als Schauspieler, Requisiteur, Regisseur und Fotograf fungiert und die er in seinem Studio mit einem Selbstauslöser erschafft, ist einer seiner Schwerpunkte. Eingehüllt in gebrauchte Kleidungsstücke und Alltagsobjekte, verwandelt er sich in anonyme, manchmal groteske oder aber auch androgyne Figuren, die auf spielerische Weise auf Skulpturen – teilweise auf die Kompositionen alter Meister - verweisen. Die fotografischen Dokumente beinhalten aber auch die lange Tradition des Selbstporträts, konterkarieren es aber gleichzeitig durch ihre „Maskerade“ und führen es ad absurdum. Das Gesicht fehlt, die Dinge werden zu Ausdrucks-Prothesen.
Die Umdeutung der Dinge, die Neubewertung von vermeintlich Wertlosem, steht bei Brinkmann immer wieder im Vordergrund. So treffen die Betrachter*innen in den Arbeiten auf alltägliche Gegenstände, welche ihnen nicht mehr dienen müssen und stattdessen eine eigene künstlerische Welt voller Schabernack präsentieren. Dabei bleibt offen, ob diese variablen Installationen einem Zweck dienen oder ob die Vehikel einem höheren Unsinn folgen.
So erscheint Reginald von Eckhelm Hochwohlgeboren im verdrehten Morgenrock, Reiter*innen sitzen „hoch zu Ross“ auf Schreibtischen, eine geschlechtsneutrale Venus mit Mülleimer auf dem Kopf präsentiert sich dem Betrachter und ein alter Babyflaschenwärmer wird zum klassischen Vanitas-Motiv, welches im Titel offensichtlich danach fragt Wannitdat?
Bei Thorsten Brinkmann scheinen die Dinge kein Ende zu haben. In kurioser Form finden sie immer wieder auf die Bühne zurück. Sei es im „klassischen“ Stillleben oder gar am Künstler selbst.
Robert Pufleb_Nadine Schlieper
Alternative Moons – Robert Pufleb und Nadine Schlieper
Text von Dr. Emmanuel Mir
An einem trüben Morgen erwacht die Welt und stellt verwundert fest, dass sie von lauter Egomanen geführt wird, die ein psychotisches Verhältnis zu dem unterhalten, was für gewöhnlich als „Realität“ bezeichnet wird. Als ob die gesamte Geschichte der Menschheit nicht gerade aus dieser Art Egomanen bestünde. Gewiss müsste man auf Donald Trump und seine Trumpianer warten, um das rhetorische Arsenal der politischen Propaganda mit dem exquisiten Begriff des „alternativen Fakts“ zu bereichern. Aber die Erfindung und ständige Neuerfindung der Realität ist eine anthropologische Konstante, nicht erst im Zeitalter der Fake News entstanden.
Dieser freizügige Umgang mit der Realität wird in der Bildenden Kunst, speziell in der Fotografie, immer wieder neu verhandelt. Mit der Behauptung, dass die Fotografie immer getäuscht hat, treten wir offene Türen ein. (…) Alternative Moons ist ein Buch gewordenes Statement zur Aussagefähigkeit der Fotografie über die Realität – und zur Bereitschaft des Rezipienten, offen gelassene Bildstellen mit Sinn zu füllen. Die Fotografien der Monde führen den Betrachter bewusst in die Irre und weisen auf dessen interpretatorische Faulheit hin. Kaum ist das Motiv gesehen, dass es in visuelle Kategorien und vorgefertigte Denkschablonen gepresst wird, um so schnelle wie möglich Bedeutung zu erzeugen. Nur bei einer Überprüfung wird man doch stutzig und fragt sich, ob man es wirklich mit verschiedenen Perspektiven der Mondoberfläche zu tun hat. (…)
Alternative Moons ist gewissermaßen ein weiterer Aufklärungsversuch, der die Illusion der Fotografie und des fotografischen Dispositivs (denn die Publikation stellt ein solches Dispositiv dar) aufdeckt. Und es knüpft selbstverständlich an einer der größten Verschwörungstheorien der Moderne, nämlich an der Hinterfragung der Mondlandung im Jahre 1969, die sich selbst auf Bilder stützt, um die Beweisfunktion des Bildes zu demontieren. (…)
Es gibt diverse Strategien des Umgangs mit einer fremdproduzierten Täuschung. Die Empörung, die Anprangerung oder die eben genannte Aufklärung sind einige davon. Der Humor gehört aber auch dazu, obgleich diese Option zu selten verwendet wird. Und es ist ausgerechnet diese Strategie, die Nadine Schlieper und Robert Pufleb für ihr wunderbar verschmitztes Buch auserkoren haben.
Alternative Moons, PC-010-170215, 2017
Lagbaja - No one in particular I, 2019
Lagbaja - No one in particular II , 2019
Alternative Moons, PC-001-170215, 2017
Reginald v. Eckhelm, 2010
Lagbaja - No One in particular III, 2019
Ute Behrend
Back to Nature
Als ich in den Sommerferien gelangweilt das von uns gemietete Ferienhaus untersuchte, fiel mir eine Badematte ins Auge. Es war eine Matte, die man in die Wanne legt, damit man gefahrlos ein- und aussteigen kann. Sie war aus vielen kleinen transparenten Plastikstücken zusammengesetzt, die wie Kiesel aussehen sollten. „Ach so“, dachte ich, „man soll sich in der Badewanne fühlen, als ob man in einem Bach läge, auf dessen Grund man die Kieselsteine sehen und spüren kann. Wunderschöne, saubere Steine in klarem Wasser“. Mir kam das ein wenig absurd vor, die Sehnsucht nach Natur auf diese Art zu stillen, während überall auf der Welt lebendige Natur stirbt und vernichtet wird.
Ich fragte mich, ob es innerhalb einer künstlerischen Auseinandersetzung nicht umgekehrt Sinn machen würde, die künstlich erzeugte Natur zur lebendigen „echten“ Natur zu bringen. Als Zeichen für „das, was bleibt“, wenn alles andere vernichtet ist. Oder auch, um die wenige übrig gebliebene Natur zu mehren.
Der Mensch der sich als höchstes Lebewesen sieht, stellt sich über jedes Tier und jede Pflanze. Bei Tieren wird das zunehmend hinterfragt. Aber haben nicht auch Pflanzen einen Eigenwert? Unabhängig davon, ob sie jemandem nützen oder jemand ihnen eine Bedeutung zuschreibt?
So entstand das Konzept meiner Arbeit Back to Nature; Dinge in die Natur tragen.
Ich habe normale Alltagsgegenstände, die Nachbildungen aus der Natur darstellen, an Orte getragen, an denen man ihre echten Pendants vermuten würde. Als temporäre Skulpturen wurden sie in ihrem „natürlichen Umfeld“ von mir fotografiert.
Auf den Bildern erscheinen sie wie „Androiden“, die ein eigenes Selbstbewusstsein entwickeln und zurück an den Ort ihrer Herkunft wollen.
Nicht wissend, dass sie Simulacren sind, stellen sie die gleichen Fragen, die alle von uns bewegen: Wo komme ich her? Wo soll ich hin? Wieviel Zeit habe ich noch?
Tom-Oliver Schneider
DIALOG – Ästhetisierte Häßlichkeit, die mich anschreit
Meine Arbeit beschäftigt sich mit einem Teil des künstlerischen Schaffensprozesses, der diesem oft gar nicht zugehörig erscheint – der Betrachtung durch den Rezipienten, und rückt die Reaktionen und die daraus entstandenen Kommentare zu meinen Bild gewordenen Fragestellungen in den Fokus. Sie entstammten meinem Onlinearchiv, zeugen von den Betrachtungssituationen und befragen weiterhin die jeweilige Erwartungshaltung. Zu hören ist eine Auswahl aus über 4.200 kritischen, positiven sowie negativen und manchmal auch humorvollen Kommentaren, die durch Zufallswiedergabe in einen unaufhörlichen und immer wieder neuen, inszenierten Dialog miteinander treten. So treffen die verschiedenen Sichtweisen, Erwartungen und Wünsche der Betrachter direkt aufeinander und polarisieren fortlaufend.
Die Bilder entstehen im Kopf. Die physische Abwesenheit gibt die Möglichkeit, sich die Bilder, aber auch die Kommentatoren, vielfältig zu imaginieren. Gleichzeitig gibt die Abwesenheit die Möglichkeit, die Kommentare selbst auf sich wirken zu lassen und ggfs. auch die eigenen Ansprüche und Erwartungen an zeitgenössische Fotografie und deren Präsentation zu hinterfragen.
In einer Gruppenausstellung hingegen gibt es keinen leeren Raum und die Kommentare können direkt auf andere sichtbare Arbeiten projiziert werden – ein spannender Moment, wenn sie sich den Kommentaren stellen und ihnen standhalten müssen.
o.T. 2 (Brighton-Western-Esplanade), 2003-2005
Götz Diergarten
Der fremdbestimmte Blick
Maler der Romantik – wie etwa William Turner oder Caspar David Friedrich – waren beeindruckt vom Meer, der unendlichen Weite, dem besonderen Licht entlang der Küste.
Ich habe mich fotografisch da bewegt, wo die beiden plein air gemalt haben: auf der sog. Isle of Thanet im Südosten Englands oder auch auf Rügen… In den ausgestellten drei Arbeiten der England-Serie (2003-2005) greife ich das häufig von Caspar David Friedrich verwendete Sujet der Rückenfigur auf und thematisiere den fremdbestimmten Standort für die Betrachtung des Meeres.
Die festgeschraubten Bänke auf betonierten Bodenplatten geben genau vor, von wo, was wie betrachtet werden soll. Dies spielte auch schon beim „Gentlemans‘ Guide“ für die Bildungsreise (Grand Tour) der reichen Junker des 19. Jahrhunderts ebenfalls eine Rolle: Es wurde genau beschrieben, von welchem Punkt man z.B. einen Palladio-Bau in Venedig zu betrachten habe. Der Rezipient meiner Bilder sieht den willkürlich festgelegten Ort, an dem eine andere Person – oder gar er selbst – aufgefordert wird, den quasi „gleichgeschalteten Blick“ walten zu lassen. Es entstehen absurde, oft witzig-skurrile Räume, die einen Widerspruch zum eigentlich so freien Bereich entlang des Meeres bilden…
Joseph Obanubi
TECHNO-HEADS
TECHNO-HEADS untersucht die Globalisierung und ihre Auswirkungen, Technologien sowie deren Einfluss auf menschliche Interaktionen und Bewegung. Das Projekt konzentriert sich darauf, wie Individuen innerhalb der zeitgenössischen afrikanischen Gesellschaft, sich – gelenkt durch Technologie – ihren Weg durch alltägliche Abläufe des Lebens bahnen. Es zeigt auf, wie stark unser heutiges Leben um Technik kreist und bei zentralen Aspekten der menschlichen Existenz wie Kommunikation, Bewegung und Navigation von ihr abhängig geworden ist. TECHNO_HEADS stellt dieses Phänomen als Teil der menschlichen Existenz dar, wobei natürlich vorkommende Formen der Subjekte durch mechanisierte Teile ersetzt wurden und somit die Idee einer Techno-Utopie hervorgerufen wird.
Obanubi beschäftigt sich zudem mit dem Konzept der Metaphysik im afrikanischen Kontext und untersucht, wie Identität, Raum und Zeit selbst mit den einfachsten Produkten der Technologie auf komplizierte Weise verbunden sind. Der Künstler versucht, afrikanische Metaphysik und einfache Technologien zu einem neuen Ganzen zu verschmelzen, um der veränderten Realität ein neues Gesicht zu geben und durch sie zu erklären, wie Technik und afrikanische Freiheitskonzepte in der heutigen Gesellschaft dargestellt werden.
An Untamed Sense of Control. 101 emblematische Versuche, die Realität (an)zuerkennen
o.T. 1 (Broadstairs – Viking Bay), 2003-2005
o.T. 1 (Brighton –Western – Esplanade), 2003-2005
Anja Engelke
Room 125
Anja Engelke hat sich mit ihrem Werk „Living in a photography - Room 125" einen Traum erfüllt. Der Reiz in eine selbst gewählte Fotografie einzuziehen, sie zu bewohnen und Veränderungen an ihr vorzunehmen, inspirierte die Künstlerin, genau dieses Phänomen umzusetzen.
Das Motiv bestand aus der Arbeit „Room 125“ des amerikanischen Fotografen Stephen Shore. Er reiste 1973 durch die USA, um seinen Alltag und sein Heimatland fotografisch zu dokumentieren. Die originale Fotografie zeigt sein Hotelzimmer, im Anschnitt ist der Künstler selbst auf dem Bett im Bild, allerdings sind nur seine Beine und Füße zu sehen. 45 Jahre später baute die Künstlerin nun dieses Foto in ihrer eigenen Wohnung exakt nach und dokumentierte ihr Leben darin. Dadurch entstand eine gewisse Macht, selbst im Foto zu agieren oder neu zu kombinieren: Das Hinzufügen persönlicher Gegenstände in die zitierende Wohnsituation, die Erweiterung durch eigene Alltagssituationen oder das Auftauchen weiterer Referenzen mehrerer Fotografien
Stephen Shores sowie anderer wichtiger fotografischer Positionen, werden innerhalb der Arbeit aufgegriffen.
Text Saskia Benthack
Lampenschirm mit Federn, 2020
AAD Pretoria, South Africa 2018
An Untamed Sense of Control. 101 emblematische Versuche, die Realität (an)zuerkennen
An Untamed Sense of Control. 101 emblematische Versuche, die Realität (an)zuerkennen
Heiko Daniels
An Untamed Sense of Control
„An Untamed Sense of Control“, das sind 101 emblematische Versuche, die Realität (an)zuerkennen. Ihr argumentativer Aufbau ist der dreiteiligen Struktur barocker Embleme nachempfunden.
Durch die Trias aus inscriptio (Motto), pictura (Visualisierung) und subscriptio (Auslegung) wurden in der Sinnbildkunst des 16. und 17. Jhs. die Phänomene der sichtbaren Welt in einem christlichen Referenzsystem verknüpft und zum Sprechen gebracht. Aus ihrem Abbild las – wer wollte – den göttlichen Plan. Wesentlich für die Emblematik sind der erhobene Anspruch auf Deutungsfähigkeit und ihre spielerische Rätselhaftigkeit, durch die alles in Bewegung gerät.
Dabei bedeutet die Exegese der Welt immer zugleich ihre Inbesitznahme. Bilder sind Abbilder arrangierter Besitzverhältnisse. Alles ist Erzählung. Die Frage ist nur: wer oder was spricht?
Wenn es noch immer »gilt, die Dinge zu sehen, wie sie sind« (Otto Dix), dann wendet sich dieses Diktum gerade auch gegen den Realitäts-, Wahrheits- und Wirklichkeitsbegriff selbst – was bleibt, sind gehobene Stimmung und obsessiver Schwung auf dem Weg zu neuer Deutungshoheit.
In diesem Sinne hatte ich Anfang 2014 beschlossen, die objektive Befragung der Welt (reality check) fortzuführen. Vom Kalauer bis zur anspielungsreichen Betrachtung erprobe ich seither unterschiedliche Verfahren: mal ist es die Ausdeutung eines Snapshots aus dem persönlichen Alltag, mal die Inszenierung einer inscriptio bzw. die Rekonstruktion ihrer pictura durch krude Bild-Settings und Reenactments. Manchmal geht alles sehr schnell, manchmal vergehen Wochen, bis die Elemente richtig austariert zueinander finden. Das Ergebnis ist der Versuch eines nuancierten Wechselspiels, dessen derb bis melancholisch abschattierte Komik ein wesentliches Merkmal und Mittel zur Erkenntnis von Realität ist.
Bei den Arbeiten handelt es sich zum Teil um Reproduktionen originaler Polaroids. In der Folge wurden sie jedoch durch digitale Imitate erweitert bzw. ersetzt. Das vermeintliche Unikat – mancherorts längst schon Fake-App-Derivat - dient im barocken Spiel von Sein & Schein als verweiskräftiger Rahmen für die emblematische Form.
Partydekoration: Wabenbälle, 2019
IDEX Abu Dhabi, United Arab Emirates 2019
IDEX Abu Dhabi, United Arab Emirates 2019
Eurosatory Paris, France 2018
IDEX Abu Dhabi, United Arab Emirates 2019
Nikita Teryoshin
Nothing Personal
Zwischen 2016 und 2019 steigen die globalen Rüstungsausgaben kontinuierlich an, brechen neue Rekorde, während Bomben in zahlreichen Konflikten fallen. Durch den globalen Rechtsruck in der Politik bekommt Militarismus zudem starken Rückenwind. In dieser Zeit werfe ich einen Blick hinter die Kulissen des globalen Waffenhandels, auf exklusive Rüstungsmessen, nur für Fachpublikum zugänglich, wo sich das Who is Who der Industrie und Politik trifft und milliardenschwere Deals abgeschlossen werden. Im schlimmsten Fall landen die Waffen am Ende über Umwege bei Diktatoren und werden zum Beispiel gegen das eigene Volk eingesetzt.
Das Langzeitprojekt Nothing Personal zeigt das „Backoffice of War“, welches das totale Gegenteil eines Schlachtfeldes darstellt. Ein überdimensioniertes Spielfeld für erwachsene mit Bier, Wein, Häppchen und frisch polierten Waffen. Tote Körper hier sind Mannequins oder Pixel auf Bildschirmen einer Vielzahl von lebensechten Kriegssimulatoren. Schlachten werden inmitten künstlicher Kulissen inszeniert und von vollen Rängen mit Generälen, Politiker*innen, Staatsoberhäuptern und Geschäftsleuten beklatscht. „NextGen Lethality“ und „70 Years Defending Peace“, so lauten die Slogans von den Global Playern Rheinmetall und Kalashnikow.
In meiner Arbeit werden bewusst keine Gesichter gezeigt. Es soll um das System an sich gehen und nicht um einzelne Protagonisten. Bei den anonymisierten Händlern mit Gewehren, Kanonen oder Bomben vor ihren Gesichtern lasse ich mich von John Heartfields Zeichnungen inspirieren, welche er vor dem Zweiten Weltkrieg als Warnung an die Welt anfertigte. Es soll auch als Metapher für die Verschwiegenheit der Rüstungsindustrie stehen.
Die Bilder entstanden zwischen September 2016 und Oktober 2019 auf fünf Kontinenten: in Polen, Weißrussland, Südkorea, Deutschland, Frankreich, Südafrika, China, Abu Dhabi, Peru, Russland, Vietnam und den USA.
Nothing Personal wurde unterstützt vom VG Bildkunst Stipendium 2018 und dem PH Museum Grant 2019. Es ist zudem ein Buch in Planung.
EUROSATORY Paris, France 2018
DEFEXPO Lucknow, India 2020
IDEX Abu Dhabi, United Arab Emirates 2019
MILEX Minsk, Belarus 2017
Manuel Frolik
„Polaroids“ 2014 - 2020
Das Polaroid nimmt im weiten Feld der Fotografie einen ganz besonderen Platz ein. Seine Ästhetik ist unverwechselbar und seine analoge Authentizität ist gerade im digitalen Zeitalter gefragter denn je. Neben der besonderen Ästhetik liegt die Faszination eines Polaroids vor allem darin, dass es sich stets um ein unreproduzierbares Original und Unikat handelt. Es entsteht ohne den Umweg über Negativ und Abzug. Einer Reliquie gleich erscheint es uns als direkter und authentischer Zeuge von etwas Vergangenem.
Genau an diesem Punkt setzt Manuel Frolik an. Das Polaroid als Original und Unikat! Es scheint geradezu ein Sakrileg zu sein, hier manipulierend einzugreifen. Und dennoch, oder gerade deswegen, bereitet es dem Künstler ein besonderes Vergnügen die Authentizität dieser Unikate zu unterwandern, indem er seine Polaroid-Fakes herstellt. Seit 2014 entstehen in unregelmäßigen Abständen immer wieder neue Exemplare seiner Serie Polaroids. Mithilfe digitaler Tools montiert Frolik sein Konterfei in Bilder, die er im Netz findet. Die Aufnahmen zeigen den Künstler mit so unterschiedlichen Helden der Polaroid-Ära wie Dash Snow, Curt Cobain oder auch mit Andy Warhol oder David Bowie. Diese digital bearbeiteten Motive werden auf Fotopapier ausbelichtet und in originale 600er Polaroid Hüllen eingeklebt. Frolik nutzt hier nicht nur Footage aus dem Netz als sein Ausgangsmaterial, er macht sich auch gewisse Prinzipien der Netzkultur zunutze. Selbststilisierung und Selbstinszenierung sind in den sozialen Medien allgegenwärtig. Das Netz ist voller skurriler Fluchten. Es ist dieser Eskapismus als Ausdruck der Realitätsverdrossenheit und Weltflucht unserer Zeit, den Frolik hier in sein Werk überträgt und zuspitzt. Auf diese Weise entspinnt sich in den Polaroids von Manuel Frolik die lose (vielleicht auch haltlose) Geschichte einer fiktiven Figur, die sich mit diversen, teils tragischen, teils verwegenen Berühmtheiten und Helden schmückt und profiliert.
Fluorescent Adolescent No.2, 2016
Fluorescent Adolescent No.3, 2016
Fluorescent Adolescent No.1, 2016
Fluorescent Adolescent No.4, 2016